Wie bekomme ich einen Pflichtverteidiger?

Vom Gesetz her sind in § 140 der Strafprozessordnung (StPO) diejenigen Fälle geregelt, in denen eine sogenannte "notwendige Verteidigung" gegeben ist.

Dies sind gleichzeitig die Fälle, bei denen dem Angeklagten ein sog. Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird, falls er sich nicht selbst einen Rechtsanwalt als sog. Wahlverteidiger ausgesucht hat, wobei es bei der Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht auf Bedürftigkeit des Beschuldigten ankommt.

Dieser Grundsatz ist den meisten Ratsuchenden nicht bekannt, wie ich regelmäßig anhand der mir gestellten Fragen feststellen muß.

Bei den Fällen der "notwendigen Verteidigung" handelt sich um die Fälle, in denen ein Angeklagter sich seit mindestens drei Monaten in Haft befindet, in denen die Anklage nicht zum Amtsgericht (d. h. Strafrichter oder Schöffengericht), sondern zum Landgericht (große Strafkammer, Wirtschaftsstrafkammer oder Schwurgericht) erhoben worden ist, und Fälle, bei denen dem Angeklagten nicht nur ein Vergehen (z.B. wegen Diebstahls), sondern ein Verbrechen (z.B. wegen Bankraub oder Totschlag) zur Last gelegt wird.

Derartige in der Strafprozessordnung (StPO) geregelte Fälle sind eindeutig. Entweder hat ein Angeklagter Anspruch auf die Beiordnung eines von der Staatskasse bezahlten Verteidigers als Pflichtverteidiger oder eben nicht.

Deutlich schwieriger wird es, wenn zwar keine dieser Voraussetzungen vorliegt, aber dennoch

• wegen der Schwere der Tat oder
• wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder
• weil der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann

die Beiordnung eines Pflichtverteidigers durch das Gericht beantragt wird. Die Einzelkriterien hierfür sind gesetzlich nicht geregelt, sondern von der Rechtsprechung der verschiedenen Gerichte im Laufe der Jahre festgelegt worden. So wird ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen, wenn dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung droht.

Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen nach der Rechtsprechung gleichfalls vor, wenn dem Angeklagten zwar "nur" eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr droht, er aber wegen dieses Urteils den Widerruf der Strafaussetzung bereits rechtskräftig verhängter Freiheitsstrafen zu erwarten hat (entschieden im Jahre 1995 vom Bayerischen Obersten Landesgericht).


Wie erfolgt die Auswahl des Pflichtverteidigers?

Es ist in § 142 StPO gesetzlich geregelt, dass der beizuordnende Verteidiger durch den Vorsitzenden des Gericht

• möglichst aus den im jeweiligen Gerichtsbezirk zugelassenen Anwälten auszuwählen und
• dem Beschuldigten / Angeklagten zuvor Gelegenheit zu geben ist, einen Anwalt seines Vertrauens vorzuschlagen, der auch zu bestellen ist, wenn nicht - wie es im Gesetz heißt - wichtige Gründe entgegen stehen.

Als solche wichtige Gründe kämen etwa die Weigerung des vorgeschlagenen Anwalts, die Verteidigung zu übernehmen, dessen Unerfahrenheit (ein Berufsanfänger soll die Verteidigung in einer umfangreichen und schwierigen Insolvenzsstrafsache übernehmen) oder auch ein gesetzliches Verbot in Betracht (der vorgeschlagene Verteidiger vertritt in derselben Strafsache bereits einen Mitangeklagten).

Auch der bisherige Wahlverteidiger eines Angeklagten kann seine Beiordnung unter gleichzeitiger Niederlegung seines Wahlmandats beantragen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn dem Mandanten im Laufe des Strafprozesses die finanziellen Mittel ausgehen, seinen bisherigen Wahlverteidiger weiter zu bezahlen.

Der Angeklagte hat im übrigen grundsätzlichen Anspruch darauf, dass ihm der von ihm vorgeschlagene Anwalt seines Vertrauens beigeordnet wird.

Umstände, die dieses Vertrauensverhältnis als begründet erachten lassen, braucht der Angeklagte nicht besonders darzulegen. Es reicht, wenn er einen bestimmten Rechtsanwalt mit der Bitte benennt, ihm diesen beizuordnen.


Kann auch ein auswärtiger Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger auftreten?

Diskussionen entstanden - vor allem in früheren Jahren - oftmals dann, wenn der Angeklagte um Beiordnung eines Verteidigers bittet, der seinen Kanzleisitz nicht im betreffenden Gerichtsbezirk hat. Von den Gerichten wurde des öfteren unzutreffenderweise damit argumentiert, die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Verteidigung - also etwa das pünktliche Erscheinen des Verteidigers zu den Gerichtsterminen - wegen des Verkehrsrisikos (z.B: Stau, unpünktlicher Zug)bei einer längeren Anreise beeinträchtigt sein. Das ist allerdings ein wenig stichhaltiges Argument! Jeder kennt das Phänomen, dass z.B. bei Besprechungsterminen meist diejenigen Personen am pünktlichsten sind, die den längsten Anfahrtsweg haben.

Bei Licht betrachtet verhält es sich so, dass die Gründe für das Bestreben vieler Richter darum, möglichst kinen auswärtigen Verteidiger beizuordnen, in Wahrheit im rein finanziellen Bereich zu suchen sind. Denn die Beiordnung als Pflichtverteidiger unter Beschränkung auf die Vergütung eines ortsansässigen Anwalts ist grundsätzlich unzulässig (so entschieden u.a. von den Oberlandesgerichten Düsseldorf, Hamm, München und Saarbrücke). Der von auswärts kommende Pflichtverteidiger hat somit neben seiner Vergütung auch Anspruch auf Erstattung seiner Reisekosten und ggf. auch der Übernachtungskosten.

Dieses Geld versuchen etliche Richter zugunsten der jeweiligen Landeskasse einzusparen. Diese "Sparsamkeit" darf jedoch nicht zu Lasten des Angeklagten gehen, da es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlichtweg nicht vereinbar ist, dass "Sparsamkeit" über dem gesetzlich garantierten Anspruch des Angeklagten auf eine Verteidigung durch den Anwalts seines Vertrauens stellt!

Inzwischen hat sich gottlob die weitestgehende Lockerung des Grundsatzes durchgesetzt, dass der beizuordnende Verteidiger möglichst aus dem jeweiligen Gerichtsbezirk stammen sollte:

So hat z.B. Bundesgerichtshof am 17.07.1997 (Az. 1 StR 781/96) ein Urteil des Landgerichts Nürnberg- Fürth aufgehoben, weil anstatt des gewünschten Verteidigers aus München ein ortsansässiger Kollege beigeordnet worden ist (Entfernung München - Nürnberg ca. 170 km).

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat am 02.12.1997 (Az. 2 Ws 221/97) auf die Beschwerde des Angeklagten festgestellt, dass dieser einen Rechtsanspruch darauf hat, dass ihm der von ihm gewünschte Verteidiger aus Frankfurt am Main beigeordnet wird, obwohl der Strafprozess bei dem Landgericht Ulm anhängig war (Entfernung Frankfurt am Main - Ulm ca. 280 km).

Im Ergebnis lässt sich sagen, dass die Rechtssprechung der Obergerichte im Laufe der letzten Jahre sich für den Angeklagten gegenüber früher deutlich verbessert hat.

Folgende Kriterien sind nach der aktuellen Rechtsprechung wesentlich bei der Entscheidung, ob der Angeklagte Anspruch auf die Beiordnung eines auswärtigen Strafverteidigers als Pflichtverteidiger hat:

• Gegenstand des Strafverfahrens (je bedeutsamer der Tatvorwurf oder je umfangreicher das Strafverfahren ist, um so mehr gilt das Recht, durch den auch weiter entfernt sitzenden Anwalt des Vertrauens verteidigt zu werden).

• Grad des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem von ihm gewünschten Verteidiger (insbesondere Verteidigung durch diesen Rechtsanwalt schon in früheren Strafverfahren. evtl. bereits erfolgte Einarbeitung des gewünschten Verteidigers in den Gegenstand des Strafverfahrens).

• Entfernung zwischen Gericht und Kanzlei des gewünschten Anwalts (je bedeutsamer der Tatvorwurf und je größer das Vertrauensverhältnis, um so weiter darf der beizuordnende Verteidiger des Vertrauens vom Gericht entfernt sein).

Im übrigen gilt:

Gegen eine evtl. "ablehnende Entscheidung" des Gerichts ist die Beschwerde statthaft und in zahlreichen Fällen auch erfolgreich. Ferner kann bei erfolgloser Beschwerde die Revision gegen das Urteil mit der abgelehnten Beiordnung des "Verteidigers des Vertrauens begründet werden".

Über die Revision entscheidet bei erstinstanzlichen Strafkammersachen (Landgericht) nicht das ansonsten zuständige Oberlandesgericht, sondern der Bundesgerichtshof (BGH).

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