Was versteht man unter "Konfliktverteidigung"?

Die Durchführung und Handhabung des Ermittlungs- und Strafverfahrens erfordert vom Strafverteidiger taktisches und strategisches Geschick.

Das Verteidigerverhalten gegenüber den „auf der anderen Seite befindlichen „Beteiligten“ bewegt sich zwischen den extremen Positionen der sogenannten Konflikt- und der sogenannten Kuschelverteidigung.

Unter Konfliktverteidigung versteht man gewöhnlich die völlige Konfrontation zwischen Verteidigung und Gericht. Ziel ist es durch die Stellung einer Vielzahl (in manchen Verfahren tausende) Anträge an das Gericht zu stellen, die zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen und das Gericht zermürben. Als Anträge kommen hier in Betracht Beweisanträge, Befangheitsanträge usw.. Das Verfahren kann sich bis ins uferlose hinziehen. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht nicht mehr die Sachaufklärung, sondern der tägliche Kleinkrieg über Verteidigeranträge und gerichtlicher Verfahrensentscheidungen.

Die Folge dieses Verhaltens sind einerseits die erhebliche Verfahrensverzögerung, die teilweise dazu führen kann, dass der Prozess „platzt“. D.h. das Verfahren muss abgebrochen werden und unter Umständen zu einem späteren Zeitpunkt neu begonnen werden. Man darf hier durch die negativen Folgen dieser Verfahrensweise nicht aus den Augen verlieren. Meist ist es so, dass die Verfahren zwar in die Länge gezogen werden, aber im Endeffekt die Verurteilung nur verzögert wird. Dies bedeutet, dass unter Umständen auch ein Freispruch später ausgesprochen wird und ein Mandant unter Umständen länger vorher in U-Haft bleibt. Auch werden durch die längere Verfahrensdauer die Verfahrenskosten erheblich in die Höhe getrieben. Nicht zu unterschätzen sind auch die „klimatischen“ Auswirkungen der Konfliktverteidigung. Bei Konfrontation mit dem Gericht rein um der Konfrontationswillen und als Selbstzweck wird das Gericht sicherlich zu Recht ein Missbrauch der Verteidigerrechte annehmen und den Angeklagten dafür im Strafmaß „büßen“ lassen.

Das andere Extrem bildet die sogenannte Kuschelverteidigung. Bei dieser „Strategie“ ordnet sich die Verteidigung völlig dem Willen des Gerichts unter und macht bei dem Gericht „lieb Kind“. Ziel dieses Verhaltens ist es, das Gericht milde zu stimmen für ein niedriges Strafmaß.

Oberstes Gebot bei dieser „Strategie“ ist es nicht durch unbequemes Verhalten aufzufallen und auf keinen Fall Sand ins Getriebe zu streuen. Dies führt zu einem unterwürfigen Verhalten dem Gericht gegenüber, wobei alles verhindert wird, wovon man annimmt, dass es den Richter verärgert. So bildet dann die Stellung von Beweisanträgen usw. die absolute Ausnahme. Beobachtet werden kann Verhalten dieser Art oft bei Strafverteidigern, die für den Angeklagten als Pflichtverteidiger vom Gericht (nicht die Pflichtverteidiger, die der Angeklagte als "gewählten Pfichtverteidiger" bestimmt!) ausgesucht werden. Solche Verteidiger stellen oftmals in ihrem Verteidigerleben keinen einzigen Beweisantrag, was schon an Verrat vom Mandanten grenzt.

Schon die Darstellung der beiden Extremformen der Verteidigung zeigt, dass hier die Interessen des Mandanten nur unzureichend vertreten werden. Eine kompetente Rechtsverteidigung sieht anders aus. Der Rechtsanwalt muss sich auf das Verhalten des Gerichts flexibel einstellen. Hierbei ist es wichtig, dass sich der Verteidiger über Sinn und Zweck seiner Tätigkeit Rechenschaft legt. Nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) ist der Rechtsanwalt dafür da, den Mandanten den Zugang zum Recht zu verschaffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat darüber hinaus der Rechtsanwalt das Gericht vor Fehlentscheidungen zu bewahren. Dem Gericht muss deshalb klar und deutlich und mit der geboten Härte widersprochen werden, wenn dies sachlich geboten erscheint. Die Betonung liegt auf sachlich geboten. Unnötige Härte und Unsachlichkeit dienen weder der Sachaufklärung noch dem Interesse und Zielen des Mandanten. Überhaupt steht der Vorteil und das Interesse des Mandanten am Ausgang des Verfahrens absolut im Vordergrund. Hier zeigt sich dann auch eine Stärke des guten Strafverteidigers. Mit den Justizorganen, sei es die Staatsanwaltschaft oder die Polizei als Ermittlungsbehörden, oder das Gericht als Entscheidungsorgan muss immer flexibel und mit Fingerspitzengefühl umgegangen werden. Da wo erforderlich, muss der Konflikt gesucht und ausgehalten werden, um keine Rechte und Interessen des Mandanten preiszugeben.

Andererseits gibt es in Strafverteidigerpraxis genügend Fällen in denen Absprachen mit Staatsanwaltschaft und Gericht aus den unterschiedlichsten Gründen in dem Interessen des Mandanten sind. Die Justizbehörden haben oftmals z.B. ein großes Interesse daran, unter Umständen langwierige Verfahren durch Verfahrensabsprachen zu verkürzen. Wenn sich der Verteidiger diesem Ansinnen nicht verschließt, können oftmals für den Angeklagten Reduzierungen des Strafmaßes „ausgehandelt“ werden.