Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen - Besonderheiten
Was versteht man überhaupt unter einer Wirtschaftsstrafsache?
Im anwaltlichen Strafgebrauch umfasst der Begriff „Wirtschaftsstrafsachen“ diejenigen Strafsachen, bei denen des um den häufig sehr komplexen Vorwurf der „Begehung strafbarer Handlungen, welche im Zusammenhang mit der Führung eines Unternehmen stehen“, geht.
Diese - weite - Begriffsfassung hat nichts mit dem enger gefassten § 74 c des GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) zu tun, wonach eine Wirtschaftsstrafsache eine Strafsache ist, die der „Wirtschaftsstrafkammer“ beim Landgericht zugewiesen ist.
Welche besonderen Anforderungen hat eine Wirtschaftsstrafsache an einen Strafverteidiger?
Hauptunterschied zu normalen Strafverfahren ist, dass ein Verteidiger in Wirtschaftsstrafsachen nicht nur ein guter Strafverteidiger sein sollte , sondern darüber hinaus noch über exzellente Kenntnisse bei betriebswirtschaftlichen Fragestellungen, im Rechungswesen und auch im Steuerrecht verfügen muss.
Hinzu kommt, dass es sich bei Wirtschaftsstrafsachen regelmäßig um sehr umfangreiche Strafsachen handelt, so das das Erfordernis einer akribischen Mandatsbearbeitung und Prozessvorbereitung an enormer Bedeutung gewinnt.
Während bei „normalen“ Strafsachen, der Akteninhalt in einer mehr oder weniger dicken Prozessakte zusammengefasst ist und die Hauptverhandlung vor dem Strafrichter oder Schöffengericht dann selten mehr als ein bis drei Verhandlungstage dauert, liegt dass bei Wirtschaftsstrafsachen in der Regel völlig anders:
Akteninhalte von 30 prallgefüllten Leitz- Ordnern oder mehr sind in Wirtschaftsstrafsachen an der Tagesordnung und auch Anklageschriften mit 200 Seiten, deren Verlesung allein mehrere Stunden dauert, bewegen sich im Rahmen des Üblichen.
Dies stellt an den Verteidiger hohe Anforderungen an eine sorgfältige Dokumentation des Akteninhalts sowie die Fähigkeit, gemeinsam mit dem Mandanten eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln, welche auch das Auftreten von Unvorhersehbarkeiten bei der oft langwierigen Prozessvorbereitung mit berücksichtigt.
Den jeweilige Stand der Beweisaufnahme hat der Strafverteidiger in Wirtschaftsstrafsachen akribisch festzuhalten und laufend mit seinen Mandanten zu erörtern. Man darf nicht vergessen, dass es Wirtschaftstrafsachen gibt, welche 30 Hauptverhandlungstage oder teilweise noch weit mehr alleine für die Beweisaufnahme erfordern.
Nicht zu vergessen ist, dass es der Verteidiger in Wirtschaftsstrafsachen sehr häufig mit erfahrenen Richtern und spezialisierten Staatsanwälten zu tun hat, die ihr „Handwerk“ gut beherrschen!
Andererseits hat ein erfahrener Strafverteidiger in diesem Deliktsfeld erheblich Spielräume zu Gunsten seines Mandanten, auf die Gestaltung des Strafverfahrens und dessen Ausgang Einfluss zu nehmen, weil ein Tatnachweis in häufig sehr komplexen, unternehmensbezogenen Deliktsfeldern oftmals nur sehr schwierig und mit hohem Aufwand zu führen ist.
Da viele Gerichte einen solchen Aufwand oftmals scheuen, gewinnt das Instrument der „verfahrensbeendenden Absprechen“ (sogenannter Deal) in Wirtschaftsstrafverfahren zunehmen an Bedeutung. Hier kann ein kluger Verteidiger zusammen mit seinem Mandanten oft erreichen, dass Häufig sind die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft begleitet von Maßnahmen wie der Durchsuchung von Geschäfts- und Privaträumen, welche als äußerst rufschädigend und belastend empfunden werden.
Welche Besonderheiten sind bei Wirtschaftssrafsachen regelmäßig anzutreffen?
Das von der Durchsuchung betroffene Unternehmen ist wegen der Sicherstellung einer Vielzahl von Beweismitteln (z.B. Computern, Buchhaltungsunterlagen) häufig kaum noch handlungsfähig.
Beschuldigte sind meistens Geschäftsführer einer GmbH, Vorstandsmitglieder oder Mitglieder des Aufsichtsrats einer AG oder Unternehmensinhaber. Meistens leben diese Beschuldigten in sehr geordneten Verhältnissen und haben (im Gegensatz zu Beschuldigten, welche z.B. wegen Diebstahl, Drogenbesitz u. ä. verfolgt werden) keinerlei Vorstrafen aufzuweisen.
Zumindest in den letzten Jahren ist zu beobachten, dass die Strafverfolgung häufig mit einer Arrestierung von Vermögen verbunden ist, was mit einer Einengung der wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten bei den Beschuldigten verbunden ist.
Was sind die Schwierigkeiten des Gerichts bei einer Wirtschaftsstrafsache?
Der Umfang einer Wirtschaftstrafsache bringt für sämtliche Verfahrensbeteiligte eine enorme physische und psychische Belastung mit sich.
Aus Sicht des Beschuldigten und des Strafverteidigers kann man davon ausgehen, dass die meisten Strafkammern der Gerichte in Deutschland erheblich überlastet sind und ihnen eine langdauernde Hauptverhandlung in einer umfangreichen Wirtschaftsstrafsache erhebliche Probleme bereitet. Man darf nicht verkennen, dass die mit in der Regel drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Strafkammern angesichts der terminlichen Enge bei oft mehreren parallel laufenden Strafverfahren kaum Zeit dazu haben, um über entscheidende prozessuale und materiellrechtliche Fragestellungen außerhalb der Hauptverhandlung zu beraten.
Oftmals gibt es auch das Erfordernis, die bestehende Terminplanung zu ändern, z.B. weil Mitbeschuldigte oder deren Verteidiger plötzlich erkrankt sind, unterwartet Zeugen vernommen werden müssen oder andere nicht vorhersehbare Ereignisse eintreten.
Auch aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Gerichte sind häufig verfahrensbeendende Absprachen (sogenannter Deal) möglich, welche den in Wirtschaftsstrafsachen Angeklagten mit Hilfe engagierter und erfahrener Strafverteidiger in der Regel ein überraschend mild scheinendes Urteil beschert.
Wie soll sich der mit einer Wirtschaftsstrafsache konfrontierte Beschuldigte verhalten?
Man kann es nicht oft genug wiederholen:
Keinesfalls Angaben zur Sache machen und sich sofort mit einem entsprechend sachkundigen und erfahrenen Verteidiger in Verbindung setzten.
Was sollte der mit einem Ermittlungsverfahren in einer Wirtschaftsstrafsache konfrontierte Beschuldigte bei der Verteidigerwahl beachten?
Klar bekommt man oft entsprechende „Tipps“ aus dem Bekanntenkreise, vor allem wenn diese selbst entsprechende Erfahrungen als Beschuldigte in Wirtschaftsstrafsachen haben. Aber Sie dürfen keinesfalls vergessen, dass sich Empfehlungen oft nicht verallgemeinern lassen und gerade in Wirtschaftsstrafsachen jeder letztendlich „seinen“ Verteidiger finden muss.
Sie dürfen nicht vergessen, dass – wenn sie z.B. von einer Verkehrsordnungswidrigkeit betroffen sind – in der Regel das betreffende Ermittlungsvefahren/Strafverfahren sehr rasch beendet sein wird. In einem solchen Fall ist es weniger bedeutsam, ob Sie mit dem von Ihnen gewählten Verteidiger gut harmonieren oder er Ihnen gar menschlich sympathisch ist.
Vergessen Sie aber nicht, dass ein ggf. mehrjähriges Strafverfahren ganz andere Voraussetzungen an die Zusammenarbeit zwischen Mandant und Strafverteidiger erfordert! Und da sollten natürlich im Laufe dieser Zeit nach Möglichkeit keine Spannungen auftreten, welche dem Erfolg der Strafverteidigung im Wege stehen.
Daher sollten sie bei der Wahl Ihres Verteidigers folgendes bedenken:
Achten Sie darauf, dass Ihnen der ins Auge gefasste Strafverteidiger auch von seiner Art, seines Umgangs mit Ihnen, sozusagen von der menschlichen „Chemie“ her sympatisch ist. Sprechen Sie mit ihm offen über ihre persönlichen und wirtschaftliche Situation, auch was die Honorierung der Tätigkeit des Strafverteidigers anbetrifft. Sie können sich sicher vorstellen, dass ein mehrjähriges Strafverfahren einen erheblichen zeitlichen Aufwand des Verteidigers bedeutet und deshalb in Honorarfragen möglichst von vornherein keine Missvertändnisse aufkommen sollten.
Und stellen Sie als erfahrener Unternehmer, Geschäftsführer oder Vorstand den ins Auge gefassten Verteidiger ruhig Fragen zu seiner Einschätzung bezüglich der im Strafverfahren anstehenden oftmals auch betriebswirtschaftlichen, bilanziellen oder branchentypischen Gesichtspunkten. Fragen Sie Ihn ruhig auch über das Ergebnis und die gewählte Verteidgungsstrategie in ähnlichen Fällen aus der Vergangenheit.
Ein kompetenter und in Wirtsachaftstrafsachen erfahrener Verteidiger wird Ihnen – selbstverständlich ohne Namen zu nennen – regelmäßig zu allem ihren Fragen seine Einschätzung abgeben, so dass Sie sich sehr bald ein Bild davon machen können, ob der ins Auge gefasste Strafverteidiger fachlich wie von seiner Person her zu Ihnen passt!
Aber bitte vergessen Sie folgendes nicht:
Gerade in Wirtschaftsstrafsachen ist es erforderlich, dass Sie den Fall nicht einfach an Ihren Verteidiger „abgeben“ und meinen, mit der Verteidigerauswahl hätte sich das meiste erledigt!
Im Gegenteil. Sie werden nicht umhinkommen, mit Ihrem Verteidiger sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in der Hauptverhandlung, vor allem zwischen den einzelnen Sitzungstagen, intensiv zusammenarbeiten müssen, was – je nach konkretem Fall – einen nicht unerheblichen zeitlichen Einsatz von Ihnen erfordern wird.
So ist es beispielsweise in unserer Kanzlei übliche Gepflogenheit, dass nicht nur das Ergebnis der Akteneinsicht – bei umfangreichen Ermittlungsakten – in mehreren Sitzungen detailliert erörtert wird, sondern auch, dass grundsätzlich vor und nach dem jeweiligen Sitzungstag eine Vor- bzw. Nachbesprechung stattfindet.
Wichtig ist, dass Sie sich anhand der Gespräche mit Ihrem Verteidiger möglichst gut darauf einstellen können, was an dem anstehenden Sitzungstag voraussichtlich auf Sie zukommt und welche strategischen Weichenstellungen evtl. erforderlich sind.
verfasst von G. Schreiber am 07.07.2009