Konfliktverteidigung im Strafrecht versus "professionelle Strafverteidigung"?

Gelegentlich wird seitens der von einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren betroffenen Mandanten an uns die Frage gestellt, was eigentlich unter einer Konfliktverteidigung zu verstehen sei?

Diese Frage ist in der Tat nicht einfach zu beantworten.

Man könnte aber sagen, unter „Konfliktverteidigung“ das strategische Vorgehen eines Verteidigers zu verstehen ist, welches auf eine vollständige Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten der Strafprozessordnung (StPO) abzielt um in geeigneten Fällen das Gerichtsverfahren "schwer handhabbar" bis hin zu einer "Verunmöglichung der Verurteilung des Angeklagten" zu gestalten.

Was sind nun aber die Möglichkeiten der Strafprozessordnung im Sinne der Konfliktverteidigung?

In erster Linie das Stellen von Beweis- und Befangenheitsanträgen, welche aber ich Instrumente einer „normalen“ Verteidigung sein können, jedoch diese anders als bei einer „Konfliktverteidigung“ im Rahmen einer „normalen“ Verteidigung nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Im Gegensatz zu einer „normalen“ Verteidigung ist in Fällen der Konfliktverteidigung aus Sicht des Prozessbeobachters jedoch das "Überhandnehmen" dieser Instrumente zu beobachten, so dass sich in diesem Zusammenhang in der Öffentlichkeit dann die Frage nach der Rechtmäßigkeit bzw. Zulässigkeit eines solchen Verteidigerverhaltens stellt.

Nach der hier vertretenen Ansicht bedarf es keiner Erörterung, dass Verhaltensweisen wie Nichtbeachtung von Worterteilungen, grobe Beleidigungen, Einschüchterung von Zeugen kein zulässiges Verteidigerverhalten darstellen.

Allerdings stellt die „Konfliktverteidigung“ in dem hier verstandenen Sinne ein durchaus zulässiges und legitimes Verteidigerverhalten dar, wenn es nicht primär darum geht, den Prozessverlauf zu verschleppen oder gar zu zerstören, sondern wenn die Ausschöpfung sämtlicher prozessualer Recht für die sachgerechte Verteidigung des von einem Strafverfahren betroffenen Mandanten im Vordergrund steht.

So beispiesweise wenn durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft Rechte des Mandanten in gröblicher Weise beschnitten werden, aus Sicht der Verteidigung eine Tendenz des Gerichts zu einer „Vorverurteilung“ gegeben ist oder wenn - wie gerade in letzter Zeit leider häufig zu beobachten ist - schlampig geführte Ermittlungen ein gesteigertes Maß an Sachaufklärung gebieten.

Gerade in letzteren Fällen kann es der Verteidigung nicht verwehrt sein, alle erdenklichen Schritte zu ergreifen, um zu versuchen, den Tatvorwurf auszuräumen und das Gericht von der Unschuld des Angeklagten zu überzeugen.

Daher hält es der Verfasser auch für unbedenklich, wenn er in einem komplexen Wirtschaftsstrafverfahren den „100. Beweisantrag“ stellt, auch wenn hierdurch für den Prozessbeobachter fälschlicherweise der Eindruck Öffentlichkeit entsteht, es würde der Verteidigung möglicherweise nur um „Verfahrensverschleppung“ gehen.....

Vor diesem Hintergrund ist auch den zu beobachtenden politischen Bestrebungen, Verteidigerrechte – insbesondere das Beweisantragsrecht – zu beschneiden, eine klare Absage zu erteilen.

So will z.B. das Bundesland Nordrhein-Westfalen den angeblich häufig zu beobachtenden „Missbrauch“ des Beweisantragsrechts zum Zwecke der Prozessverschleppung“ unterbinden. Im Herbst 2009 soll hierzu ein entsprechender Gesetzentwurf über den Bundesrat in den Bundestag eingebracht werden, wie kürzlich durch das Justizministerium zu entnehmen war.

Kernpunkt des Entwurfs soll eine Neuregelung in der Strafprozessordnung sein, nach der das Gericht in länger dauernden Strafprozessen zum Ende der Beweisaufnahme eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen setzen könne. Nach Ablauf der Frist sollen Beweisanträge dann abgelehnt werden können, „weil sie zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich seien....“.

Hierzu ist aus Strafverteidigersicht folgendes auszuführen:

Es verwundert schon sehr, dass seitens der Politik schon seit Jahren der „angebliche Missbrauch des Beweisantragsrechts durch die Strafverteidiger“ beklagt wird, jedoch der in den letzten Jahren verschiedentlich zu beobachtende Missbrauch der Machtstellung durch die Strafjustiz offensichtlich keinerlei Beachtung findet. Wer kennt nicht die Fälle von „blindlings“ unterschriebenen Strafbefehlen bzw. Haftbefehlen und von formelhaften „textbausteinartig“ verfassten Begründunge in vielen Gerichtsentscheidungen?

Beispielhaft sei hier nur die in vielen Fällen gehandhabte Praxis bei der Anordnung zur Speicherung von DNA- Profilen genannt, welcher erst kürzlich durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.06.2009 (vorerst) ein Riegel vorgeschoben wurde.

Es steht zudem zu befürchten, dass bei einer Verschärfung des Beweisantragsrechts sich der Beschuldigte dazu genötigt sehen könnte, vorschnell ein Geständnis abzugeben, um der „Androhung“ einer hohen Strafe für den Fall der Nichtabgabe zu entgehen. Ferner kann auch das Risiko nicht hingenommen werden, dass während des Hauptverfahrens zu Tage getretene Ermittlungsfehler bei einer Verschärfung des Beweisantragsrechts dann häufig nicht mehr korrigiert werden können.

Im Ergebnis muss eine Verschärfung des Beweisantragsrechts daher entschieden abgelehnt werden und des weiteren festgehalten werden, dass der Gebrauch strafprozessualer Beschuldigtenrechte nach Meinung des Verfassers für eine "professionelle Strafverteidigung" in komplexen unerlässlich ist.

Dass in diesem Zusammenhang von Seiten der Strafjustiz gern das Wort "Konfliktverteidigung" in den Mund genommen wird, verbietet sich daher.



Eingestellt am 31.05.2010
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